Hamburger Morgenpost, 14.06.03
"STEPHANSLUST" | 14.06.2003

Eine völlig irre Bude
STEPHANIE LAMPRECHT

Stephan Watrin (53) lebt im geheimsten und skurrilsten Museum der Stadt -
Eintritt zwei Euro oder ein Stück Draht

Uralte Schmelzkäse-Ecken an der Küchenwand, ein Skelett mit angeknabberten Zehen, hunderte Geweihe und kuriose Kunstwerke aus Scherben und Kupferdraht. Stephan Watrin lebt in Hamburgs skurrilstem Museum: Seine Wohnung "Stephanslust" im Schulterblatt 84 (www.stephanslust.de).

Das Wundern beginnt schon im Treppenhaus, beim Anblick des mit Federn verzierten Kronleuchters und der dekorativen Einweckgläser auf den Stufen. "Da ist Spargel drin, den hat meine Großmutter eingemacht", erklärt der Museumsdirektor, "und zwar vor 50 Jahren." Damals war er drei Jahre alt.

Schmächtig und mit freundlichem Gesicht empfängt Stephan Watrin seine Besucher unter den Wanderstöcken. Dutzende der spitzen Dinger hängen unter der Decke im Flur und zaubern eine Atmosphäre wie in einer Tropfsteinhöhle. Zwei Euro kostet der Eintritt. Oder ein Stück Draht, eine Scherbe oder gar nichts.

Der erste Eindruck: Gott, ist das voll gestopft. Überall Setzkästen, alte Fotos, Heiligenfiguren neben antiken Reklameschildern, der HSV-Pokalsiegerwimpel von 1963, eine überdimensionale, beleuchte 4711-Flasche - "Stephanslust" ist ein liebevoll dekoriertes Chaos auf 125 Quadratmetern.

Wer genau hinsieht, entdeckt nicht nur den (lebendigen!) Python in seinem Terrarium mit Kronleuchter ("Ich weiß, das ist nicht artgerecht"), sondern auch Knochen aller Größen - von Kamelknochen im "Sahara-Zimmer" bis zum kompletten Menschen-Skelett im Wohnzimmer, geschmückt mit einer Lichterkette, umrahmt von alten Weihnachts-Papptellern.

"Ja, ich habe ein Faible für den Tod", sagt Stephan Watrin und erzählt dabei höchst lebendig zu jedem der morbiden Stücke eine Geschichte. Das Skelett etwa stammt aus einer Arztpraxis: "Aber deren Hund nagte immer an den Zehen, da hab ich es genommen." Und mit Kupferdraht umwickelt wie fast alle Fundstücke: "Mit Draht kann ich ohne viel Vorwissen Dinge künstlerisch verändern." Manches bleibt auch im Originalzustand, wie die bunten Schmelzkäse-Ecken ("Aus Namibia und der Schweiz"), die an die Küchenwand genagelt sind. Seit 24 Jahren lebt der gelernte Erzieher in seinem "Gesamtkunstwerk" (Notiz an der Klotür: "Bitte ruhig sitzen, Klo ist nicht befestigt!").

Beim Einzug war er noch verheiratet, aber "eine Frau hält das hier nicht aus". Dabei hat die Ex-Gattin ungewollt den Grundstock zur Riesen-Sammlung gelegt: "Sie schenkte mir einen Aschenbecher in Form des Kölner Doms."

Hamburgs kuriosester Museumsdirektor, über den man auch in "Hamburg Geheim" (Christians Verlag; siehe Kasten unten) nachlesen kann, stammt aus gutem Hause, wuchs in einer Villa mit Personal auf - im Rheinland, wie der Zungenschlag verrät. In seinem gelernten Beruf als Erzieher arbeitet er nur noch gelegentlich. Hauptbeschäftigung derzeit: die Gestaltung seines Lokals, das am 1. August an der Marktstraße eröffnet. "Das heißt wie ich bin", so Watrin: "Abgedreht."